10 Jahre UN–Behindertenrechtskonvention – wie weit ist Deutschland mit deren Umsetzung vorangekommen? [1] Befragt man Behindertenverbände, Vereine und Betroffene und berücksichtigt den Reichtum dieses Landes im Vergleich zu anderen, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass noch sehr viel zu tun bleibt.[2].
Rückblick auf 2019
Unsere kleine, aber laute und aktive Gruppe von einigen Menschen mit Behinderung aus verschiedenen Bundesländern demonstrierte im März aus diesem Anlass (10 Jahre UN-BRK) auf dem Potsdamer Platz in Berlin vor der DB–Zentrale. [3] Die Presse war leider nicht anwesend, aber wir streamten unseren Protest live. Immerhin erzielten wir einen Teilerfolg: Bahnreisende mit Mobilitätseinschränkungen müssen sich nicht mehr bei den unterschiedlichen Bahnanbietern anmelden; die DB Zentrale übernimmt diese Anmeldung für alle. [4]
Behinderte werden nach wie vor benachteiligt. Das fängt schon bei der Bildung an. Es gibt kaum inklusive Schulen, obwohl die Vorteile inklusiven Lernens unbestreitbar sind. [11] Der Kinofilm „Die Kinder der Utopie“, der dieses Jahr im Mai in ausgewählten Kinos Deutschland lief, zeigt, dass es keine Utopie sein muss, Kinder gemeinsam lernen zu lassen. [5]
Der 1. Arbeitsmarkt bietet unzureichende Chancen, so dass immer noch auf exkludierende Werkstätten zurückgegriffen werden muss.
Dort wird ein Taschengeld an die Beschäftigten gezahlt, das mit monatlich ca. 165 Euro sehr weit vom Mindestlohn entfernt ist!
Auf den unsäglichen Entwurf des Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetzes (RISG) bin ich bereits eingegangen. [6] Menschen mit Beatmung sollen künftig in „Einrichtungen“ leben. Dies widerspricht dem Selbstbestimmungrecht und somit der UN-Behindertenrechtskonvention! Eine Korrektur ist bis zum heutigen Tag nicht verfügbar.
Die „Reisegruppe Niemand“ bestand aus Menschen mit Behinderung, die den Rekord aufstellten, in 72 Stunden alle Bundesländer mit Regionalzügen zu bereisen. Hier wurde unter körperlichem Einsatz auf zahlreiche Probleme mit Bahnreisen hingewiesen – die Anmeldung für Rollstuhlfahrer ist Pflicht, begrenzte Stellplätze und der Höhenunterschied bei Ein- und Ausstieg stellen eine große Herausforderung dar und es fehlt an guten visuellen und akustischen Auskünften. Auf dem Weg sammelte die „Reisegruppe Niemand“ bei den 348 Zwischenhalten der Reise Schreiben und Bilder als Botschaften von behinderten Menschen und deren Freundinnen und Freunden an den Bundespräsidenten ein, um sie im Bundespräsidialamt abzugeben. [7]
Inwiefern man Behinderung als unwertes Leben betrachtet und als vermeidbar vermittelt wird, kommt derzeit durch Anfragen der AfD [8] zu Tage. Aber auch durch Bluttests, mit denen bei Ungeborenen das Downsyndrom festgestellt werden kann, wird Leben mit einer Behinderung als vermeidbar dargestellt. Auch der jüngste „Fall“ von Bundesminister für Verkehr Scheuer, in dem er mit „Runter vom Gas“ mit einem Menschen im Rollstuhl warnt, kommt bei Menschen mit einer Behinderung nicht gut an. Einer der Teilnehmer, Rolf Allerdissen, hat ein Spruchbanner auf Facebook angefertigt, welches schon häufig geteilt und geliket wurde: „Ich bin als Rollstuhlnutzender kein warnendes Negativbeispiel oder Erziehungsmassnahme für das Fehlverhalten von Teilen der Gesellschaft.“
Wenn da nicht immer wieder die kleinen Lichtblicke wären, wie z. B. dass die „Sozialhelden“ den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewannen, der die Verfügbarkeit und Funktionsfähigkeit von Aufzügen in Echtzeit darstellt. Herzlichen Glückwunsch! [10] Doch auch darüber ist in der Presse kaum etwas zu lesen.
Menschen mit Behinderung sollten wohl mehr als zwei Tage im Jahr (5. Mai und 3. Dezember) Aufmerksamkeit und die UN-Behindertenrechtskonvention in allen Bereichen berücksichtigt werden. Noch besser natürlich, wenn es dieser Tage gar nicht bräuchte, weil Menschen mit Behinderung als Mitglieder der Gesellschaft betrachtet und behandelt werden – so wie alle anderen auch.
Quellen/Fußnoten: